Das Fernsehen und sein Problem mit dem Content – Teil 2: Der tiefe Fall des Polit-Magazins Panorama

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Das Fernsehen und sein Problem mit dem Content – Teil 1: Selbstverständliches, Appelle an die niederen Instinkte und Pöbeleien

Panorama – das unglaubwürdige Polit-Magazin
Den Vogel hat aber letzte Woche das Polit-Magazin Panorama abgeschossen.
Keine Ahnung, ob sie einfach auf den Clownswagen des aktuellen Themenzugs „Killerspiele“ aufspringen oder nur einem C-Polit-Promi aus dem blau-weiß-karierten Bundesland einen Gefallen tun wollten.

Mit dem Beitrag „Morden und Foltern als Freizeitspaß – Killerspiele im Internet“ hat sich die Sendung keine Lorbeeren verdient.

Zum Inhalt des Beitrags
Anhand von Spielen wie „Call Of Duty 2“ und „GTA: San Andreas“ wollte die Sendung aufzeigen, welche Züge die angeblichen „Killerspiele“ schon angenommen haben sollen. Eine der ersten Szenen zeigt u.a. den Spieler, wie er gerade einen Gegner erschießt und dann noch den Rest des Magazins auf den toten Körper des Gegners abfeuert. Dann ist ein hämisch grinsender Clan-Spieler zu sehen.
Weiter spricht der Beitrag davon, dass es in „Call of Duty 2“ darauf ankäme, möglichst viele Gegner möglichst brutal zu töten.
Das Spiel „GTA: San Andreas“ muss dafür herhalten, dass es darin für die Vergewaltigung von Frauen Punkte gäbe.
Was für ein Skandal wäre das, wenn es wahr wäre. Aber das ist es nicht. Der Beitrag ist von vorne bis hinten aus Halbwahrheiten und ehemaligen und schon länger widerlegten Mutmaßungen mit Hilfe eines geschickten Händchens am Schneidetisch entstanden.

Dilettantisch recherchiert, Szenen gestellt, Inhalte manipuliert, Zusammenhänge verändert – …
… so stellt sich der Eindruck dar, wenn man die Stellungnahme der Personen liest, die für den Beitrag herhalten mussten.
Die gezeigten Personen stammen aus dem Spieleclan CODW. Auf deren Clan-Seite kann man mehreren Stellungnahmen (hier und hier)zu dem Panorama-Beitrag entnehmen:

„Die in dem Zusammenhang gezeigten Szenen stimmen in keinster Weise mit dem tatsächlichen Interview überein.“

„Mein lächeln bezog sich auf eine Lustige Aussage in Teamspeak nicht auf irgendwelche Leichenballerei. Die gezeigten Szenen werden die mit Sicherheit selber gemacht haben. Von uns stammen sie jedenfalls nicht.“

„Es wurde alles völlig aus dem Zusammenhang gerissen und nichts davon wiedergegeben was tatsächlich Interviewt worden ist.“

Die in dem Beitrag gezeigten und betroffenen Personen des Clans wollen sich gegen diese Art der „Berichterstattung“ nun zur Wehr setzen.

Werfen wir einen Blick hinter einen angeblichen „Experten“
Richtig interessant wird es, wenn man sich die Beiträge einiger Blogger und Online-Publikationen anschaut und sich das, was diese recherchiert haben, mal auf der Zunge zergehen lässt.
Das RA-Blog z.B. hat sich mal den „Killerspiel-Experten“, der in dem Beitrag zu Wort kommt, genauer angeschaut und dabei herausgefunden, dass dieser für eine Firma arbeitet, welche „Filter-Technologien, Internet-Filtern und Firewall-Systemen“ für „Unternehmen, Behörden und öffentlichen Einrichtungen“ herstellt. Was das alles mit den angeblichen „Killerspielen“ zu tun haben soll, will The Inquirer herausgefunden haben. Dort heißt es in einem Beitrag:

Das fängt bei der Wahl eines „Experten“ an, von dem nicht verraten wird, dass seine Firma „Pan Amp“ auch schon mit dem Verkauf eines „Ego-Shooter-Filters“ Geld verdienen wollte.

Nach einem Bericht bei Golem hält dieser „Experte“ das Spiel „Call of Duty“ für besonders gefährlich, weil

„es unter anderem die Möglichkeit biete, NS-Symbole wie die SS-Rune oder das Hakenkreuz durch Downloads einzubauen. „

Jup – und wer sich etwas mit diesen Möglichkeiten auskennt, kann auch Bilder von Softeis, Wundertüten und Teddybären in das Spiel einbauen. Wem läuft es bei dieser grausigen Vorstellung nicht kalt den Rücken runter?

Aus einem Treffen zu einem Kaffee macht Panorama eine Vergewaltigungsszene?
Die in dem Beitrag gezeigten angeblichen Vergewaltigungsszene in dem Spiel „GTA: San Andreas“ ist laut The Inquirer ein Mythos.

Sex kommt im regulären Spiel nicht einmal vor. Den gibt es nur in einer umständlich zu patchenden Modifikation namens „Hot Coffee Mod“, aus dem die vom NDR gesendeten Szenen stammen – und damit das überhaupt passiert, müssen sich zwei Spielfiguren verabreden, und die weibliche Spielfigur muss ganz wie im richtigen Leben zu einer Tasse heißem Kaffee einladen. Die Geschichte von der Vergewaltigung ist eine plumpe Erfindung des NDR zur Stimmungsmache.

Mögliche Gründe für solch einen „Beitrag“
Das XSBlog2.0 vermutet hinter dem Panorama Beitrag das Ziel der

„Stimmungsmache, die neuen Gesetzen einen Boden bereiten soll.“

Christian Schmidt von Gamestar schreibt in einem Kommentar zu dem Beitrag:

„Es ist Stimmungsmache, die dort im öffentlich-rechtlichen Fernsehen lief“

Eine Stellungnahme ist Silber – ein Einsehen eines Fehlers ist Gold
Im sendereigenen Forum hat sich Panorama zu einer Stellungnahme herabgelassen.
Dort heißt es u.a.:

Im Bezug auf GTA – San Andreas haben wir im Text deutlich daraufhingewiesen, dass die gezeigt Spielvariante nur illegal über das Internet mit Sex-Szenen erweitert werden kann. Zitat: „Was man nicht an der Ladentheke kaufen kann, kann man sich problemlos aus dem Internet herunterladen“. Auch die Zusatzpatches für gewaltsame sexuelle Handlungen sind problemlos herunterzuladen, auch wenn wir diese nicht im Detail gezeigt haben. Deutlich wird dadurch auch, dass die offizielle Handelsvariante diese Szenen nicht enthält.

Ja, es lässt sich so einiges problemlos aus dem Internet herunterladen – unter den Voraussetzungen, dass man es findet und dass es existiert.
Golem schreibt dazu heute:

Gemeint war mit den Vergewaltigungsvorwürfen also offenbar nicht das „Hot Coffee Mod“ – das in neueren Versionen des Spiels ohnehin nicht mehr funktioniert -, sondern ein anderer Patch. Eine solche Erweiterung, die in „GTA: San Andreas“ Sex und Gewalt verknüpft, ist der Redaktion von Golem.de nicht bekannt. Stattdessen sieht es eher so aus, als ob im Panorama-Beitrag nur Behauptungen wiederverwendet wurden, die bereits während der großen Aufregung um das Hot Coffee Mods in den USA im Jahr 2005 widerlegt wurden.

Aha, also alles nur ein Mythos?
Und wenn es so was nun wirklich gäbe? Das Patchen von Spielen gestaltet sich weit schwieriger und daher auch unattraktiver für Spieler, als das die Sendung gerne hätte.
Auch wird in vielen Spiele-Clans solch ein Patchen nicht gerne gesehen bzw. ist gar untersagt. Das macht einen guten Clan aus. Wurde das nicht im Beitrag erwähnt? Nein, leider nicht.

Die Reaktionen auf die Sendung und die Stellungnahme sind eindeutig kontra Panorama.

Auch interessant ist eine Online-Umfrage zu Killerspielen im Zusammenhang mit der Sendung. Da sich die üblich verdächtigen C-Polit-Promis nicht selber mit dem Internet so gut auskennen und daher wohl kaum zu der Seite der Umfrage vordringen dürften, fällt das derzeitige Ergebnis recht klar aus:

panoramaumfrage

Einer für Alle – Alle für die Quote
Was geht durch die Köpfe der Redakteure von Panorama, wenn sie solch einen „Beitrag“ verfassen?
Wie verzweifelt muss man sein, um heutzutage Spieleclans und die damit unweigerlich anhängende Internetgemeinde wie Foren, Blogs und gar die Online-Publikationen so zu unterschätzen?
Wie heißt es auf der Homepage von Panorama:

„Alle drei Wochen berichten wir pointiert, engagiert, aber nicht berechenbar. „

Das „nicht berechenbar“ trifft auch auf Personen mit Persönlichkeitsstörungen wie Borderliner zu.

Meinung:
Mit dem TV und deren Sendungen verhielt es sich früher wie mit den Göttern in Weiß. Man hatte als Zuschauer Achtung und Respekt vor dem allmächtigen Medium was seine Inhalte in Millionen von Haushalten platzieren kann.

Verbrauchermagazine und Polit-Magazine deckten auf, Talk-Shows unterhielten uns und Fachmagazine klärten uns auf.

Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Medienlandschaft unterliegt einem mächtigen und unaufhaltbaren Wandel.
Der Konkurrenzkampf findet nun nicht mehr alleine zwischen den einzelnen Sendern und Redaktionen statt. Online-Publikationen wie Heise, Spiegel Online, Golem, Netzzeitung und Co. sind schneller als jede Nachrichtensendung. Sie unterliegen keinerlei Sendelänge oder Ausgabetermin. Nichts muss gequetscht oder geschnitten werden. Die Beitrage stehen umgehend in beliebiger Form und Länge online.
Foren und Blogs decken und klären heutzutage auf.
Der Content kommt immer mehr aus der Bevölkerung. Dank Internet und Community sind Inhalte in kürzester Zeit nachprüfbar.
Die Zuschauer verbringen jetzt schon mehr Zeit im Internet als vor dem Fernsehgerät und sind daher zum einen immer besser informiert und zum anderen immer weniger mit einfachen oder gar alten Programminhalten zu befriedigen.

Low-Level-Content schlägt High-Level-Content
High-Level-Content spricht den Intellekt der Konsumenten an. Entsprechend anspruchsvoll und teuer ist dessen Herstellung.
Low-Level-Content spricht die niedersten unserer Gefühle an: Die Schadenfreude, die sexuellen Triebe und vor allem Ängste.
Low-Level-Content ist billig herzustellen – wird er doch selten von den Konsumenten auf Echtheit überprüft.
Für Content muss immer härter geackert werden – gleichzeitig schauen immer weniger zu. Das bekommen die Fernsehsender zu spüren. Content wird dadurch immer kostbarer und teurer. Da ist die Verlockung groß, auf Kosten der Qualität Zeit und Geld einzusparen.
Das Ergebnis: Die Sender entscheiden sich immer mehr für Low-Level-Content.

Und Panorama? Weisheit perlt ab – Fehler färben ab!
Die Sendung Panorama bekommt derzeit den Wandel sehr deutlich zu spüren und sieht sich einem ganz neuen Phänomen ausgeliefert: Sahen sich früher Politiker durch kritische Panorama-Beiträge in Erklärungsnot, muss sich heute Panorama vor seinen Zuschauern rechtfertigen.
Den Kardinalfehler, den zweifelhaften Beitrag zu verteidigen anstatt den eigenen Fehler einzusehen, scheint die Sendung von den oben erwähnen Politikern übernommen zu haben. Schade.

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